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Sessel Abenteuer - Bikepacking auf dem Balkan – Wild und schön

Mit einem Fahrradpartner, den sie kaum kennt, 1500 Kilometer mit dem Fahrrad über den Balkan zu fahren, hätte eine Katastrophe bedeuten können, aber wie Nora Battermann in ihrer wunderschön gestalteten Geschichte erklärt, entpuppt sie sich als die Reise ihres Lebens. Finden Sie einen bequemen Sitzplatz und genießen Sie unser neuestes Sessel-Abenteuer.

Das Wiedersehen mit Lissa hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt: Anstatt gemütlich gemeinsam zu Brunchen, stehe ich 10 Minuten vor Abfahrt unseres Zugs nach Bologna am Fahrradwagen und flehe den Schaffner an, die Tür zum Wagon offen zu lassen, weil Lissas Zug über zweieinhalb Stunden Verspätung hat. Drei Minuten vor Abfahrt hechtet Lissa dann aus dem Fahrstuhl – der Auftakt zu unserer Balkan-Bikepacking-Tour hätte ruhig etwas entspannter sein dürfen.

Zu Lissa und mir muss ich einleitend anmerken: Wir haben uns Anfang des Jahres auf einer Dienstreise kennengelernt, unterhalten und festgestellt, dass wir beide gerne Graveln. Jetzt, ein halbes Jahr später, sitzen wir gemeinsam im Zug Richtung Bologna und haben zehn Tage Bikepacking vor uns. Inwiefern wir wirklich gut miteinander auskommen, wird sich im Laufe der Tour herausstellen – Sorgen mache ich mir diesbezüglich aber nicht, denn wir haben unsere Erwartungen an die Tour abgesprochen und sind uns beide einig, dass wir uns im Notfall auch trennen, sollte es so gar nicht passen.

Zwei Morgen nach unserem stressigen Wiedersehen rollen wir in Albanien von der Fähre. Die Anreise ging über Bologna nach Bari und von dort über Nacht mit der Fähre nach Durrës. Nach den letzten Einkäufen und Vorbereitungen geht es dann endlich los: Durch geschäftige Einkaufsstraßen, durch Wohngebiete und schließlich durch die Vororte. Anfangs plagt mich die Angst vor einem Platten, weil die Straße oft mit Glasscherben gespickt ist und ich Lissas Warnung bezüglich meiner Reifenwahl im Hinterkopf habe – sie hatte mich mehrfach gefragt, ob ich wirklich mit Schlauch und lediglich mit 40mm breiten Mänteln fahren will. Ja, wollte ich – denn bei meinem Cinelli Zydeco ist bei 40mm Breite Schluss und ich habe bisher keine Erfahrung mit tubeless, während ich einen Schlauch immerhin wechseln und flicken kann. Im Laufe der 17-tägigen Tour habe ich stellenweise für mich selber neu definiert, was mit 40mm-Reifen und einem voll gepackten, 30kg schweren Gravelbike fahrbar ist, und technisch sicherlich so einiges dazu gelernt. Und ja, manchmal wäre ein MTB einfacher gewesen. Ich bereue aber nicht eine Sekunde, mein Gravelbike genommen zu haben und würde es jederzeit wieder tun. Das liegt aber auch daran, dass Lissa bei der Tourenplanung meine Radwahl im Hinterkopf hatte und die Route dementsprechend geplant hat.

Nachdem wir Durrës hinter uns gelassen haben und langsam aber sicher in Richtung Berge fahren, entspanne ich mich bezüglich meiner Radwahl und lasse mich auf die Tour ein. Die Landschaft ist grün und fruchtbar, wir fahren durch Felder und Baumplantagen. Nach 50 flachen Kilometern auf einem Mix von Asphalt und Schotter, kommt dann der erste Anstieg. Die Sonne glüht vom Himmel, der Wind pfeift durch die Schlucht, durch die wir uns in Richtung des Bovilla-Stausees hochkämpfen, und wir kommen das erste Mal ordentlich ins Schwitzen. Für den Blick auf den Stausee lohnt es sich allerdings und nach einer Stärkung im Restaurant mit See-Blick geht es an den anspruchsvolleren, schotterigen Teil der Strecke. Hier muss ich das ein oder andere Mal schieben, weil der Schotter teils sehr grob und geröllig ist und ich mit meinen Reifen nicht weiter komme. Lissa kommt hier auf ihrem MTB deutlich besser zurecht.

Der Kampf mit dem unwegsamen Gelände am Nachmittag lohnt sich aber allemal, denn pünktlich zur goldenen Stunde folgt eine Abfahrt, wie aus dem Bilderbuch. Auf asphaltierter Straße schlängeln wir uns an orange leuchtenden Felswänden entlang; die Atmosphäre lässt sich nicht in Worte fassen. Ich komme aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Wenig später erreichen wir den für heute angepeilten Campingplatz und erhalten vom überaus freundlichen Besitzer eine Einführung in den albanischen Grundwortschatz. 

Nachdem wir die Zelte aufgestellt haben und uns nach einer warmen Dusche fast wie neu fühlen, folgt mit dem hausgemachten Essen ein weiteres Highlight, unter anderem bestehend aus frischen Tomaten, Oliven, Suppe, Gulasch, Frikadellen und einer Art Marzipan-Crème und Baklava als Nachtisch. Wenig später liege ich im Innenzelt – das Außenzelt braucht es bei den Temperaturen nicht – schaue in die Sterne, höre die Zikaden zirpen und stelle fest, dass ich mir den ersten Tag nicht besser hätte vorstellen können. Außerdem frage ich mich, wie die Erlebnisse und Eindrücke dieses ersten Tages jemals übertroffen werden sollen – eine Frage, die ich mir ab jetzt eigentlich fast jeden Abend stelle.

Unsere Zeit in Albanien ist kurz – wir verbringen nur noch die nächsten anderthalb Tage hier und sind immer wieder überwältigt von der landschaftlichen Schönheit, aber vor allem von der Freundlichkeit der Menschen. Überall wird uns zugewunken, die Leute lächeln. Wir kommunizieren in der Regel mit Händen und Füßen. Eine Ausnahme ist ein kleines Dorf, in dem uns eine Gruppe von Kindern lachend hinterherläuft. Zwei Jungs, etwa neun Jahre alt, bleiben hartnäckig dran und als wir auf der sandig werdenden Schotterstraße schließlich absteigen und schieben müssen, holen sie auf und warnen uns: “Danger! Danger! Wolf!” Die Wahrscheinlichkeit, dass wir hier am helllichten Tag auf einen Wolf treffen, halten wir für recht gering, und schieben deshalb weiter. Der eine Junge lässt nicht locker und wir unterhalten uns – denn entgegen seiner Behauptung, dass er kein englisch spricht, können wir uns problemlos verständigen und er erzählt, dass er seit 3 Jahren Englisch in der Schule lernt. Es sind diese Art von Begegnungen, die ich mit unserer Zeit in Albanien verbinde.

Die Grenzüberquerung nach Montenegro verläuft problemlos und wir hätten uns den Umweg zum offiziellen Grenzübergang auch sparen können: Man winkt uns durch den Fußgängerübergang; den Pass brauchen wir nicht vorzeigen. Kurze Zeit später biegen wir von der Hauptstraße ab und sehen uns in der brütenden Mittagshitze einem knackigen Anstieg mit durchgehend 10-15% Steigung gegenüber. Nach zwei Dritteln können wir uns an einem Wasserbecken abkühlen und mit frischen Feigen vom Baum versorgen, bevor der letzte Teil des Anstiegs mit um die 5% Steigung wieder deutlich besser fahrbar ist.

Oben angekommen erwartet uns eine umwerfende Aussicht auf den Shkodrasee, dem größten See der Balkanhalbinsel. Den restlichen Tag geht es am südlichen Ufer des von Bergen umrahmten Nationalparks auf und ab, stets auf gut geteertem Untergrund. Am Abend erwartet uns die nächste spektakuläre Abfahrt in den Sonnenuntergang und uns bleibt fast die Luft weg: Die Kombination aus goldenem Licht, dem Grün der Berge, dem See unter uns und dem Einfach-Rollen-Lassen ist einfach atemberaubend. Und das war nur der Auftakt zu 350 Kilometern in Montenegro, das uns in den nächsten fünf Tagen verzaubern wird.

Zunächst bleibt die Landschaft relativ unverändert: Es ist bergig und die Landschaft ist grün, wild und ganz anders als alles, was ich bisher in Europa gesehen habe. Doch keine 24 Stunden später, wir haben gerade die Serpentinen bei Kotor bewältigt, finden wir uns auf einmal in einer surreal wirkenden Hochebene wieder, die geprägt ist von gelben Gräsern und grauem, schroffem Gestein. Gefühlt wechselt die Landschaft in Montenegro mindestens drei Mal am Tag ihr Gesicht und wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es geht unentwegt auf und ab, meist auf kleinen, geteerten Straßen, aber auch auf gut fahrbaren Schotterwegen.

Wir übernachten unter anderem in Baumzelten auf einem Campingplatz mit selbstgebauten Blockhäusern und in einem Yoga-Camp, bei dem wir im Dunkeln ankommen, nur um festzustellen, dass es sich entgegen der Ausweisung auf Google nicht um einen Campingplatz handelt, bei dem uns die Besitzer aber übernachten und duschen lassen und sich zudem am nächsten Morgen weigern, eine Bezahlung entgegenzunehmen.

Und während jede einzelne Nacht in Montenegro auf eine wunderbare Art besonders war, ist es die dritte Nacht, die ich niemals vergessen werde. Nach einem langen Tag durch eine wunderschöne Hochebene, mit verhältnismäßig viel Schotter und knapp 2.000 Höhenmetern, müssen wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit unsere Route abändern, weil der Weg mit meinem Gravelbike nicht fahrbar ist. Und so kommt es, dass wir im Stockdunkeln in einem kleinen Ort ankommen, in dem Google Maps den “Household Dragić” verortet, ein “rural tourism offer”. Vor Ort kläfft ein Hund und wir trauen uns nicht ans Haus heran. Also stehen wir draußen und rufen laut zum Fenster hinauf – ohne Erfolg. Als sich am Nachbarhaus ein paar hundert Meter weiter etwas regt, entscheiden wir unsere Räder weiter zu schieben und dort um Hilfe zu bitten. 

Ich klopfe an die Tür, doch es tut sich nichts. Wir winken vorsichtig durchs Fenster, von dem aus wir drei Erwachsene fernsehend auf dem Sofa sitzen sehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit bemerken sie uns – zwei junge Frauen mit Helm und bepackten Rädern, die im Dunkeln in einem winzigen Ort mitten in Montenegro etwas hilflos an der Haustür klopfen. Kein Wunder, dass es etwas dauert, bis sie sich dazu durchringen können, uns die Tür zu öffnen. Wir fragen nach Familie Dragić, mimen schlafen und zelten und versuchen mit Händen und Füßen zu erklären, dass wir einen Platz für die Nacht brauchen. Irgendwann gibt uns einer der Männer zu verstehen, dass er die Schlüssel zum Haus hat und es sich bei ihm um Herrn Dragić handelt.

Und so stapfen wir ihm hinterher, lehnen unsere Räder ans Haus und es beginnt ein Abend mit viel Gelächter und einem extrem warmherzigen Gastgeberpaar. Während zunächst nur der 75-jährige Herr Dragić und seine 74-jährige Frau da sind, werden schnell ein paar Telefonate getätigt und wenig später trifft die 33-jährige Tochter mit den drei- und achtjährigen Enkeln ein. Die Verständigung funktioniert mit Händen und Füßen, mit Google-Translate, über die achtjährige Enkelin und per Anruf zum Sohn, der uns übers Telefon fragt, wie viele Löffel Zucker wir in unseren Kaffee möchten. Es gibt frische Milch, Tee, selbstgemachte Butter, Käse (aus Kuhmilch – wir fragen “Mäh?” und erhalten als Antwort ein “Muh!”) und Brot. Der Abend wird lang, die Nacht entsprechend kurz. Als wir am nächsten Morgen bereit sind aufzubrechen, deutet die Hausherrin ein letztes Mal auf mein Handy. Ich öffne die Übersetzungsapp und als sie mir das Handy zurück reicht, steht dort “Ihr seid jetzt meine Enkelkinder und jederzeit hier willkommen.”

Mit einem breiten Lächeln im Gesicht rollen wir winkend vom Hof und dem nächsten Highlight der Tour entgegen: Dem Durmitor-Nationalpark, der seit 1980 sogar zum UNESCO-Weltnaturerbe gehört. Die Vorfreude auf dieses Highlight wird nicht einmal getrübt, als die ersten Regentropfen vom Himmel fallen. Mit unserer Einfahrt in den Nationalpark werden wir jedoch zunächst wieder einmal von einem Rudel Hunde gejagt – wir reagieren, wie wir das seit Tagen tun: Absteigen und das Rad zwischen uns und die Hunde schieben, schreien, Steine einsammeln und diese im Notfall auch werfen. Inzwischen zwar Routine, aber mit jedem Hund steigt bei mir die Anspannung.

Nach kurzer Pause mit Kartoffelsuppe zum Aufwärmen begeben wir uns dann in eine surreal wirkende Bergwelt, die auch der graue Himmel nicht weniger imposant machen kann. Es dominiert das grün-gelb des trockenen Grases vor den schroffen, grauen Felswänden. Es folgt Abfahrt auf Anstieg und Anstieg auf Abfahrt. Aber bei der Landschaft sind auch die, von der kurzen Nacht kaum erholten, schweren Beine egal: Es heißt einfach nur genießen.

Und als wir den Nationalpark langsam hinter uns lassen und in Richtung des angepeilten Campingplatzes radeln, wartet noch eine ganz besondere Überraschung auf uns: Weil unser Fokus so auf Durmitor lag, haben wir beide nicht auf dem Schirm, dass uns als Abschluss des Tages eine spektakuläre Abfahrt bevorsteht. Zum bereits dritten Mal ist unser Timing absolut perfekt und wir starten die Abfahrt in goldenem Licht. Neben uns öffnet sich plötzlich der Blick hinunter in eine steile Schlucht auf einen türkis-blauen See. Uns fällt förmlich die Kinnlade herunter, so schön ist der Ausblick. Es folgen in den Felsen gesprengte Tunnel, die sich wie Steinbögen in die Landschaft fügen. Als wir schließlich über eine Brücke den See überqueren, weiß ich, dass ich diesen perfekten Moment für immer in Erinnerung behalten werde. Ich bin so voller Glückseligkeit und Dankbarkeit, dass mir fast die Tränen kommen.

Am nächsten Tag überqueren wir die Grenze nach Bosnien und Herzegowina. Das Erste, was uns dabei auffällt, ist, dass sich der Straßenzustand verschlechtert: Straßen, die auf der Karte dick und gelb sind, waren bisher immer geteert – das ändert sich nun und wir fahren in den nächsten Tagen die ein oder andere (gut fahrbare) Schotterstrecke. Landschaftlich bleibt es sowohl spektakulär als auch abwechslungsreich. Unter anderem fahren wir das erste Mal durch einen Wald, der außerdem explizit als Bären-Territorium ausgeschildert ist. Wir schwimmen zur Abkühlung nach einem Aufstieg in einem von Bergen umrundeten See. Der Anstieg von dort in Richtung Mostar ist ein echtes Highlight: Eine leichte Steigung und traumhafter Schotter, sodass ich mich auf dem Gravelbike so richtig austoben kann. Die Landschaft wird hier wieder schroffer und wilder, ein bisschen, wie uns auch die Menschen hier vorkommen. Sie scheinen Fremden gegenüber etwas reservierter und zurückhaltender, als wir das bisher erlebt haben.

Die Abfahrt nach Mostar zieht sich über Serpentinen hinab zum Fluss – wie selbstverständlich rollen wir mal wieder in die untergehende Abendsonne, die Aussicht ist umwerfend. Mit Mostar erreichen wir die erste größere (und vor allem touristischere) Stadt seit unserem Start in Durrës. Als wir am nächsten Morgen in einem Café mit Blick auf die berühmte Brücke über die Neretva sitzen, sind wir vom Rummel in der Stadt beide komplett überfordert. 

Dazu kommt, dass sich hier unsere Wege trennen: Während Lissa sich auf den Weg nach Split macht, um eine Fähre zurück nach Italien zu nehmen, fahre ich weiter auf der von ihr geplanten Route in Richtung Triest, weil ich ein paar Tage länger Zeit habe als sie. Als ich mich auf den Weg mache und wir uns verabschieden, ist mir ein bisschen mulmig zu Mute. Zwölf Tage lang waren wir gemeinsam unterwegs, konnten uns immer auf die andere verlassen, haben Eindrücke miteinander geteilt, gemeinsam gelitten und genossen. Wir haben nicht ein einziges Mal gestritten und sind zu einer Einheit zusammengewachsen, die gefühlt alles bewältigen kann. Kurz: Lissa ist mein perfekter Bikepacking-Buddy.

Vielleicht auch weil ich jetzt alleine unterwegs bin, folgt nach Mostar das anstrengendste Stück der Tour. In der prallen Sonne quäle ich mich einen steilen Anstieg hinauf und versuche auf der Hälfte des Anstiegs verzweifelt und mit wenig Erfolg im Schatten eines kleinen Busches Pause zu machen. Es folgt eine Fahrt durch eine wunderschöne, felsige Landschaft und während die Straße zunächst geteert und gut fahrbar ist, schiebe ich mein Rad bald mehr, als das ich fahre. Die Zeit läuft mir davon, während ich das schwere Rad Meter um Meter bergauf schiebe. Der Weg besteht aus losem und grobem Geröll und ich brauche ewig, um vorwärtszukommen. Das Wasser geht mir langsam aus, eine technische Abfahrt verlangt mir so einiges ab und die zwei angepeilten Campingplätze existieren nicht. Ich bin vom Schieben fix und fertig und schaue verzweifelt auf die Karte: Wild zelten wäre eine Möglichkeit, aber fürs Kochen reicht das Wasser nicht mehr. 

In einem letzten, fast schon verzweifelten Versuch verlasse ich die Route und fahre zu einer Tourist-Info, die laut Internet auch ein B&B ist. Als ich um die Ecke biege, die Tür offensteht und mir ein Hund entgegen stürmt, fällt so einiges an Anspannung von mir ab. Die freundliche Gastgeberin spricht sowohl deutsch als auch englisch, quartiert mich in einem Doppelzimmer ein und ich bekomme sogar etwas zu Essen. Nach der heutigen Erfahrung plane ich die Route um und versuche Schotterpassagen zu vermeiden. Mir bleiben noch fünf Tage, bis ich in Triest sein muss und einen weiteren Tag wie diesen kann ich mir nicht leisten.

So geht es in den folgenden anderthalb Tagen im Schnelldurchlauf in Richtung Kroatien. Ich durchquere – zur Bären-Abwehr laut singend – Wälder, fahre an verlassenen Ortschaften vorbei, werde von Hunden gejagt und genieße die abwechslungsreiche Landschaft. Und ich weiß, dass ich ab jetzt jeden Tag 120 Kilometer fahren muss, damit ich es auf der von Lissa geplanten Route pünktlich bis nach Triest schaffe.

Mit der Grenzüberquerung nach Kroatien starte ich meinen Endspurt und werde von den Menschen, die mir begegnen, ausschließlich freundlich empfangen. Autofahrer winken, Bauarbeiter klatschen, ich kann mir meine Wasserflaschen mehrfach von Menschen am Wegesrand auffüllen lassen. Die kroatische Art fühlt sich nach der eher distanzierten Art der Menschen in Bosnien und Herzegowina an, wie eine warme Umarmung. Die Landschaft bleibt beeindruckend abwechslungsreich und ich fahre durch Schluchten, über Berge und durch weite Gestrüpplandschaften.

Drei Tage bevor ich in Triest sein muss, zieht morgens der erste Regen auf. Ich schaffe es gerade noch im Trockenen meine Sachen zusammenzupacken und dann warte ich auf der überdachten Veranda des Campingplatzes, in der Hoffnung, dass der Regen nachlässt. Tut er aber nicht. Schade, denn heute steht ein Highlight an, auf das ich mich gefreut hatte: Der Aufstieg ins Velebit-Gebirge, durch den Drehort der Winnetou-Filme. Ich fahre also los und werde nass. Vor mir habe ich 20 Kilometer Anstieg, der erste Teil auf Asphalt, die zweite Hälfte auf Schotter. Am Horizont braut sich ein Gewitter zusammen und nach 13 Kilometern Anstieg hängen die Wolken so tief, dass ich anfange, nach einem Unterschlupf Ausschau zu halten. 

Wie aus dem Nichts erscheint vor mir eine Friedhofskapelle und ich mache Pause. Kurze Zeit später tobt um mich herum ein Gewitter. Der Wind drückt den Regen unters Vordach, es wird alles nass. Ich bin dennoch dankbar für das Dach über dem Kopf, denn hier oben wird mir bei Donner und Blitz doch etwas mulmig. Insgesamt sitze ich über zweieinhalb Stunden fest und weil somit klar ist, dass ich das heutige Tagesziel nicht erreichen werde, nutze ich die Zeit um umzuplanen.

Als es endlich etwas trockener wird, rolle ich die Serpentinen, die ich mich am Morgen hoch gequält habe, wieder hinunter und fahre auf dem EuroVelo 8 nach Zadar. Von hier geht es am nächsten Tag mit der Fähre nach Mali Lošinj. Dort geht es im Sprint die 80 Kilometer über die Insel in den Norden von Cres, wo ich 20 Minuten vor Abfahrt der letzten Fähre im Dunkeln in den Hafen rolle. Ich übernachte in einem Apartment direkt an der Küste und für den letzten Tag bleiben mir somit 115 Kilometer bis nach Triest.

Am letzten Fahrtag bekomme ich allerdings von meiner Umgebung nicht allzu viel mit. Innerhalb der ersten 20 Minuten schüttet es bereits so sehr, dass ich bis auf die Haut nass werde. Der ganze Tag ist nass und kühl und verlangt mir mental noch einmal alles ab. Als ich am späten Nachmittag schließlich auf einer ehemaligen Bahntrasse nach Triest zum Meer hinunterrolle, zeigt sich für den spektakulären Abschluss einer unglaublichen Tour doch noch kurz die Sonne. 

Auf den letzten Metern wird mir klar, dass es das jetzt war: Ein perfekter Bikepacking-Urlaub geht zu Ende. Insgesamt 1.480 Kilometer mit über 25.000 Höhenmetern. Keine einzige Panne. Kein Streit. Nichts, was ich anders machen würde. Der Balkan hat mich umgehauen, die Diversität der Landschaft, die Menschen und die Kultur – ich kann die Region jedem ans Herz legen, der sich nach ein bisschen Wildnis, Schönheit und Herausforderung sehnt.

Wenn Sie sich von Noras Geschichte inspirieren lassen haben, können Sie hier den Weg nachvollziehen, den sie und Lissa genommen haben:

Text: Nora Battermann

FotografienLissa Breugelmans und Nora Battermann

NORA BATTERMANN

Mit einem Fahrradpartner, den sie kaum kennt, 1500 Kilometer mit dem Fahrrad über den Balkan zu fahren, hätte eine Katastrophe bedeuten können, aber wie Nora Battermann in ihrer wunderschön gestalteten Geschichte erklärt, entpuppt sie sich als die Reise ihres Lebens.

Nora Batterman

Bikepacking her way 1500 km across The Balkans with a riding partner she hardly knows could have been a recipe for disaster, but as Nora Battermann explains in her beautifully crafted story, it turns out to be the trip of a lifetime.