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Fahrberichte – Utopia Gravel Festival 2024

Bild mit freundlicher Genehmigung des Utopia Gravel Festival

Das Utopia Gravel Festival wird als "Ein einzigartiges Schotterfestival mit einer wirklich spektakulären Veranstaltungsstrecke, um gleichgesinnte Schotterliebhaber aus ganz Europa zu treffen" beschrieben. Timo Rokitta machte sich auf den Weg nach Baza, Spanien, um an der Ausgabe 2024 des Events teilzunehmen, und schickte diesen großartigen Beitrag ein.

Für die dritte Ausgabe zog das Utopia Gravel Festival um nach Baza. Die ca. 845 m hoch gelegene Stadt liegt nördlich des Naturparks Sierra de Baza. Die Provinzhauptstadt Granada befindet sich ca. 100 km südwestlich. Das Klima ist im Winter ist gemäßigt, im Sommer dagegen warm bis heiß, die geringen Niederschlagsmengen fallen mit Ausnahme der nahezu regenlosen Sommermonate verteilt übers ganze Jahr – also eine perfekte Location fürs Gravelbiken. An drei Tagen hatte Organisator Janosch Wintermantel wieder alles dafür getan, um ein unvergessliches Gravel-Erlebnis zu präsentieren. Angefangen von einem Gravel-Bergzeitfahren über ein Gravel-Rennen mit verschiedenen Distanzen bis hin zu Socialrides. 

Doch der Reihe nach: Am Freitagmittag trifft sich die Gravel-Community am Festivalgelände um entspannt zum Start des Gravel-Bergzeitfahrens zu fahren. Dabei gibt es auch ausreichend Gelegenheit um sich mit den Gravel-Stars der Szene wie Amity Rockwell oder Mattia de Marchi zu plaudern. Wegen des starken Windes auf dem ursprünglich geplanten Berges Jabalcon wurde die Strecke jedoch verkürzt. Doch die 3,6 Kilometer haben es auch in sich und so fahren viele den Berg hinauf als gebe es kein Morgen. Gewonnen hat dann das Bergzeitfahren der ex-Profi Nathan Haas. Anschließend geht es wieder zurück nach Baza, wo am Abend die Präsentation der Fahrer stattfindet. 

Tag zwei ist dann der lange erwartet Raceday. Die Langstrecke hat 165 Kilometer und knapp 3.000 Höhenmeter. Die meisten Teilnehmer entscheiden sich dann auch für diese Variante, denn hier gibt es ordentlich Herausforderungen. Natürlich bietet der Veranstalter auch eine 110 Kilometer sowie eine 55 Kilometer Strecke an. Zusammen mit Serge aus der Schweiz, den ich im Hotel kennengelernt habe stehe ich frierend bei nur 8 Grad im riesigen Startblock. Das Besondere dabei ist, dass Serge erst seit zwei Jahren Fahrrad fährt und sich für sein erstes Gravel-Event gleich die 165 Kilometer lange Strecke herausgesucht hat. Weit über 150 Teilnehmer starten dann mit etwas Verzögerung und mit Polizeibegleitung aus der Stadt. Es dauert nicht lange, bis es auch schon auf Schotter in die Höhe geht. Über eine traumhafte Piste und später durch Wälder führt der Track nicht zu steil in die Berge. Die anschließende Abfahrt geht über ein kleines Sträßchen – hier ist etwas Zeit zum Durchschnaufen. Doch hier ist auch Vorsicht angebracht. Die Asphaltdecke ist teilweise sehr holprig, zum Glück hat der Veranstalter deshalb die Gefahrenpunkte mit gelber Farbe markiert. 

Durch einen kleinen, nur ca. 1,50 Meter hohen Tunnel wird die Autobahn A-4201 unterquert und schon wenige Meter später geht es links auf einen Via Verde zur ersten Verpflegungsstation. Da ich weiß, dass mich meine Freundin am einzig erlaubten Servicepoint bei Kilometer 57 bei Gorafe erwartet, fahre ich, ohne anzuhalten weiter. Am Servicepoint erhalte ich dann zwei neue Trinkflaschen mit meinen kohlenhydratreichen Drinks und ein paar neue Energieriegel. Während ich kurz pinkle, behandelt sie auch noch meine Kette mit Wachs, sodass ich wieder voll motiviert weiterfahren kann. 

Jetzt geht es endlich in die Wüste, für die das Utopia Gravel Festival bekannt ist. Links und rechts neben dem Track sind die Felsformationen einfach nur beeindruckend. Einige Teilnehmer halten hier ehrfürchtig an und machen einige Fotos. Plötzlich tauchen vor mir zwei Geländewagen auf, die hier Ausflugsfahrten anbieten. Sie erkennen mich zum Glück im Rückspiegel und machen mir Platz zum Überholen. Eine Steilabfahrt auf teilweise losem Schotter führt nach unten in einen Canyon und danach folgt Welle um Welle, um dann nach einer kalten Wasserdurchfahrt in einem kleinen Ort zu enden. Hier beginnt das einzige Stück Asphalt und meine Beine können sich etwas regenerieren. Ich esse hier einige Riegel und trinke so viel wie möglich von meinen kohlenhydratreichen Drinks. Am Ende des Asphaltstückes ist eine weitere Verpflegungsstation. Ich nehme beim Vorbeifahren zwei Stücke Toast mit Schokocreme und schiebe diese mir in den Mund. 

Jetzt wird die Gegend noch verlassener und der Himmel bewölkt sich immer mehr. Ein langer und steiler Anstieg durch einen Canyon stellt dann eine wahre Herausforderung dar. Mit 15% geht es bergauf und der Weg ist sehr ausgewaschen. So wie diesen Teil der Strecke stelle ich mir den „Arsch der Welt“ vor. Sollte ich hier ich den Canyon stürzen, ich glaube ich würde hier nie gefunden werden - obwohl, ich habe ja noch einen Tracker vom Veranstalter im Trikot.

Bild mit freundlicher Genehmigung des Utopia Gravel Festival

Nach der Schleife im absoluten „Outback“ komme ich wieder an der Verpflegungsstelle vorbei. Hier sitzen einige Gravelbiker mit glasigen Augen und kauen demotiviert auf ihren Energieriegeln herum. Es fallen jetzt einige Regentropfen und der Untergrund wird dadurch sehr klebrig. Ein Gravelbiker aus England überholt mich und dann überschlägt er sich plötzlich in einer Regenrinne, die quer über den Weg verläuft. Ich frage ihn sofort, ob bei ihm alles in Ordnung ist. Schnell ist er wieder im Sattel und fährt weiter. Die anschließende Fahrt durch eine Rambla – ein ausgetrocknetes Flussbett bewältigen wir im Formationsflug. Der Sand und die sich zugesetzten Reifen erfordern ein vorausschauendes Fahren. In einer Linkskurve rutscht mir das Vorderrad weg und ich falle auf die rechte Seite. Unglücklicherweise steht dort genau ein Dornenbusch, in dem ich jetzt liege. Der Engländer hält an fragt mich jetzt, ob alles in Ordnung sei, was ich bejahe. Nach der Rambla folgt dann der harte letzte und lange Anstieg. Mit meinem 40er Ritzel hinten muss ich ordentlich treten, um hochzukommen. 

Bild mit freundlicher Genehmigung des Utopia Gravel Festival

Irgendwann habe ich Zeit und Raum hinter mir gelassen und mit der Erkenntnis, dass der Servicepoint bald folgen muss. Meine Freundin freut dort auch überschwänglich mich zu sehen, jedoch wird ihre Freude getrübt, als sie auf meine zerrissene Hose und den blutenden Oberschenkel schaut zeigt. Unser eingespieltes Prozedere folgt nun wieder: Ich erhalte ich aus Gewichtsgründen nur noch eine neue Trinkflasche mit meinen kohlenhydratreichen Drinks und nur einen neuen Energieriegel. Während ich ganz schnell pinkle, behandelt sie zum letzten Mal für heute meine Kette mit Wachs. 

Ab hier bin ich wie im Rausch ich fahre einfach, was die Beine hergeben, denn ich will unter 8 Stunden im Ziel sein. Das Highspeed-Highlight ist wieder der Via Verde, der nun bergab und mit Rückenwind befahren wird. Ich bin ständig am Überholen und es rollt jetzt richtig gut. An einer kurzen Steilauffahrt verschalte ich mich und zwei Engländer überholen mich. Zu Glück biegen sie an einer Abzweigung falsch ab und so bin ich wieder vorne. Auf dem folgenden sehr schmalen Singletrail können sie mir nicht mehr folgen und mit Vollgas fahre ich nach genau 7 Stunden und 50 Minuten über die Ziellinie. Am Ende bin ich damit auf Platz 5 der Altersklasse 50-59, was mich einigermaßen zufrieden stimmt. Der einzige Wermutstropfen ist nur meine zerrissene und ehemals beste Rad-Hose. Ich trinke im Ziel mehrere Kaffees und esse einige mir unbekannte spanische Gerichte - jetzt schmeckt einfach alles. 

PS: Serge hat es auch geschafft, nach gut 9 Stunden hat auch er sein erstes Gravel-Rennen erfolgreich absolviert und ist damit happy.

Am Sonntag war dann Entspannung angesagt. Die Community trifft sich wieder am alten Bahnhof in Baza. Der Socialride führt über Pisten und abgelegene Sträßchen. Der versprochene Stopp an der „Banos de Zujar“ ist dabei ein absolutes Highlight. Dieser natürliche Pool wird sichtbar, wenn der Pegel des Reservoirs „Negratin“ sinkt. Hierbei bildet sich ein beeindruckender, 30 Meter langer, türkiser und schwefelreicher Pool, dessen Wasser sich aus dem Mount Jabalcon speist. Sogar der römische Gelehrte Plinius lobte schon die heilende Wirkung dieses Gewässers. Einige Teilnehmer springen mit ihrer Radhose in das 40 Grad warme Wasser und genießen die wohltuende Wirkung des Wassers. Nach einer kleinen Stärkung mit Kuchen und Obst klingt die Veranstaltung nach der Rückkehr in Baza aus.

Das Utopia Gravel Festival war in seinem dritten Jahr wieder ein voller Erfolg und es ist somit kein Geheimtipp mehr im Gravel-Kalender. Alle Teilnehmer hoffen auf eine Wiederholung im nächsten Jahr.

Wenn Sie Timos Strecke ausprobieren möchten, finden Sie sie hier:

Text und Bilder von Timo Rokitta, außer wenn anders angegeben.

timo rokitta

Timo ist ein über enthusiastischer Schotterfahrer mit Sitz in Deutschland. Er ist in ganz Europa gefahren und mischt das Teilnehmen an Langstrecken-Schotter- und Bikepacking-Veranstaltungen mit sozialen Schotterausfahrten. Er ist auch Veranstalter von Events und man kann ihn entweder auf einem Moots, einem OPEN UP, einem Allied Able oder einem in den 1970er Jahren umgebauten Klappfahrrad für Schotterfahrten sehen!

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