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Gravel Reisen - „Berliner Mauerweg“ - Gravelride hart an der Grenze

Eine Barriere, die ein Land in zwei Teile teilte und 155 km lang und 4 m hoch war, ist vielleicht nicht der offensichtlichste Ort, um nach einem Schotterweg zu suchen, aber genau dort beschloss Timo Rokitta kürzlich zu fahren. Der im Jahr 2006 fertiggestellte Weg folgt hauptsächlich der Route einer Patrouillenstraße, die von Zollbeamten in Westberlin oder Grenzschutzbeamten der DDR in Ostberlin genutzt wurde. Timo nahm sein zuverlässiges Gravel-Bike mit auf die Fahrt und schickte diesen großartigen Bericht ein.

Der Berliner Mauerweg folgt dem Verlauf des „antifaschistischen Schutzwalls“, wie die tödliche Absperrung in der DDR genannt wurde, eine Erinnerung an die Zeit zwischen 1961 und 1989, in der die Stadt Berlin geteilt war. Der ca. 160 Kilometer lange Weg ist eine großartige Möglichkeit, die Hauptstadt und das Brandenburger Umland aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel mit dem Gravelbike kennenzulernen.

Ich starte meine Fahrt in Teltow am gleichnamigen Kanal. Hier führt der Track mit vielen Wurzeln über einen schmalen Singletrail zum ehemaligen Grenzübergang Drewitz / Dreilinden. Wer damals hier durchfahren wollte, musste sich auf sehr lange Wartezeiten sowie aufwendige Personen- und Autokontrollen einstellen. Wer diese Prozedur überstand, der durfte dann weiterfahren. Bis nach West-Deutschland durfte die Transitstrecke nicht verlassen werden. Bekannt sind heute noch die sogenannten „Schweizerhäuser“ in Klein-Glienicke, die im Stile der Schweizer Bautradition ab 1863 im Auftrag von Carl von Preußen erbaut wurden. Diese sehenswerten Holzhütten stehen heute sogar auf der Liste der UNESCO-Welterbestätten! 

Nach der Überquerung der Autobahn führt eine breite und glatte Piste durch ausgedehnte Wälder. Nach Babelsberg erreiche ich die Glienicker Brücke. Hier wurden in der Zeit des Kalten Krieges mehrere spektakuläre Agentenaustausche zwischen Ost und West durchgeführt. Heute rollt der Verkehr inklusive vieler Radfahrer über die Brücke.

Der weitere Weg führt hier am Wasser entlang. Hier stehen sehenswerte Villen und Häuser aus dem 19. Jahrhundert. Auf feinstem Schotter geht es um den Jungfernsee und den Krampnitzsee. Einen weiter historischen Ort bei Potsdam ist Schloss Cecilienhof. Zwischen den Jahren 1913 bis 1917 ließ Kaiser Wilhelm II. diese Residenz errichten. Sie war im August 1945 Schauplatz für die Unterzeichnung des Abkommens der Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg, welches die Teilung Deutschlands in vier Teile besiegelte. 

Nachdem ich einige Kilometer auf einsamen Waldwegen unterwegs war. Stehe ich vor der Heilandskirche in Sacrow. Diese Kirche ist ein echter Hingucker im italienischen Stil von 1844, der direkt im Grenzgebiet der DDR stand. Jahrzehntelang verfiel das Bauwerk, erst nach der Wende wurde sie restauriert und seit 1992 zum Weltkulturerbe erklärt. Der zweigt nun scharf nach Norden ab. Die Gegend wird nun ländlicher und man könnte meinen, dass man sich irgendwo mitten in Norddeutschland befindet – Natur pur!

In Nieder-Neudorf halte ich an einem alten Grenzturm an. Ein älterer Herr spricht mich an und er erzählt mir einiges über die Geschichte des Turmes und der Grenzmauer, die früher hier stand. In der Stolper Heide erreicht der Berliner Mauerweg nun seinen nördlichen Wendepunkt und biegt ab in Richtung Lübars. Man glaubt kaum, dass diese Ecke mit der Atmosphäre eines verschlafenen Brandenburger Dorfes, mit altem, historischem Ortskern ein Teil Berlins ist. Kopfsteinpflasterwege, Trails und Radwege wechseln sich nun ständig ab in Richtung Berlin. 

Nach 90 Kilometern durchfahre ich nun die ersten Bezirke der Hauptstadt Berlin. An der Bornholmer Straße, wo am 9. November 1989 die Grenze zuerst geöffnet wurde, nimmt der Berliner Mauerweg einen Bogen hin zur Gedenkstätte an der Bernauer Straße. Hier steht das längste noch erhaltene Stück Originalmauer einschließlich Grenzsperren und Wachturm. Nach knapp 100 Kilometern bin ich an der Spree und folge dieser bis ins Regierungsviertel. Wegen der bevorstehen Fußball-EM sind hier schon Absperrungen aufgestellt und ich muss etwas von meinem Track abweichen. 

Am Potsdamer Platz bin ich dann mitten im Zentrum von Berlin. Hier ist der Verlauf der Berliner Mauer mit einer Doppelreihe Pflastersteinen gekennzeichnet. Den Ostteil der Stadt erreiche ich danach schnell.

Ein weiterer legendärer Ort ist der berühmte Checkpoint Charlie im Herzen von Berlin. Hier werden die Erinnerungen sehr lebendig wachgehalten. An dem Mauerstück an der East Side Gallery schieße ich noch schnell ein paar Erinnerungsfotos, bevor ich wieder in ruhigeren Gefilden bin. Ansonsten erinnert hier nichts mehr an die jahrzehntelange Teilung der Stadt. Durch den Treptower Park geht es jetzt in den Bezirk Neukölln. Kopfsteinpflaster dominiert hier die Nebenstraßen, ordentlich durchgeschüttelt erreiche ich schließlich den Teltowkanal. Der Abschnitt des Mauerweges, der direkt am Wasser entlangführt, fühlt sich an wie eine Autobahn für Radfahrer. Nicht ganz zu Unrecht ist der Weg doch ein Nebenprodukt der parallel dazu führenden Stadtautobahn.

Es geht nun hinaus aus Berlin bis nach Schönefeld an der südlichen Grenze. Hier ist das Gravelbike in seinem Element. Holprige Wald- und Feldwege und ein extrem holpriges Kopfsteinpflaster befahre ich im beschaulichen Ortsteil Lichtenrade. Wer hier mit einem Rennrad unterwegs ist, wird diese Kopfsteinpflasterhölle bitter bereuen. Ein Gravelbike ist hier wieder die beste Wahl für den Mauerweg.

Und dann bin ich nach 160 Kilometern wieder in Teltow am Ausgangspunkt meiner Tour angekommen. Was war das für eine geschichtsträchtige und abwechslungsreiche Gravelrunde! Nicht schwer zu befahren, aber im Nachhinein macht diese Strecke nachdenklich. Auf Biegen und Brechen versuchte die ehemalige DDR ihre Bürger im Land festzuhalten. Oft mit Gewalt - die Fluchtversuche endeten meist tödlich. 

Die Stelen, die entlang des Berliner Mauerweges sind sehr informativ. Sie geben den Opfern der Mauer ein Gesicht. Sie erinnern an die Schicksale der Menschen, die von dem System der DDR genug hatten und sich ein besseres Leben im Westen erträumt hatten und dafür oft mit dem höchsten Preis bezahlen mussten – dem Tod.

Wenn Sie Timos Route selbst ausprobieren möchten, können Sie sie hier finden:

timo rokitta

Timo ist ein über enthusiastischer Schotterfahrer mit Sitz in Deutschland. Er ist in ganz Europa gefahren und mischt das Teilnehmen an Langstrecken-Schotter- und Bikepacking-Veranstaltungen mit sozialen Schotterausfahrten. Er ist auch Veranstalter von Events und man kann ihn entweder auf einem Moots, einem OPEN UP, einem Allied Able oder einem in den 1970er Jahren umgebauten Klappfahrrad für Schotterfahrten sehen!

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