Ein 218 km langes XC-MTB-Rennen mit 4200 Höhenmetern ist vielleicht nicht jedermanns Vorstellung von einem spaßigen Tagesausflug mit dem Fahrrad – besonders nicht, wenn man es auf einem Gravelbike fahren will. Aber Timo Rokitta ist eben anders gebaut als wir normalen Sterblichen – er lebt davon, sich die härtesten Herausforderungen zu suchen, und das auf dem denkbar ungeeignetsten Material, das er finden kann. Ist er „der Mann des Tages“ oder einfach nur völlig „locos locos“? Lies weiter, um es herauszufinden….

Im Jahr 711 n. Chr. begann eines der bedeutendsten Kapitel der iberischen Geschichte mit der Landung maurischer Truppen an der südspanischen Küste – unter anderem in der Nähe von Almuñécar, einer kleinen Küstenstadt in der heutigen Provinz Granada. Die Mauren, meist Berber und Araber aus Nordafrika, setzten unter der Führung von Tariq ibn Ziyad über die Meerenge von Gibraltar und begannen eine rapide militärische Expansion auf der Iberischen Halbinsel. Die Eroberung verlief rasch: Innerhalb weniger Jahre fiel fast ganz Südspanien unter maurische Kontrolle. Dieser historische Umbruch markierte den Beginn von Al-Andalus, einem muslimisch geprägten Herrschaftsgebiet, das über Jahrhunderte hinweg kulturell, wissenschaftlich und wirtschaftlich blühte.

Die Ankunft der Mauren brachte nicht nur neue Architektur, Religion und Verwaltung mit sich, sondern auch den Ausbau eines weitverzweigten Wegesystems: Handelsrouten, militärische Verbindungsstraßen und Kommunikationslinien entstanden. Diese Wege verbanden nicht nur Städte, sondern Kulturen. Noch heute zeugen maurische Festungen, Bewässerungssysteme und alte Pfade von dieser Zeit.
Deshalb ist es auch kein Wunder, dass es einmal im Jahr ein Offraod-Bikerennen auf diesen Spuren gibt – das Mozarabe Bikerace. Mit Start in Granada, wo sich die bekannte Alhambra befindet und dem Ziel in Almeria am Meer. Obwohl die meisten Teilnehmer mit dem Mountainbike unterwegs sind, gibt es auch einige Wagemutige, die diese Herausforderung mit dem Gravelbike meistern. Die Daten des auch MBR genannten Events sind beeindruckend: Mehr 200 Kilometer und mehr als 4.000 Höhenmeter Nonstop sind zu bewältigen.

Es ist kurz vor 6 Uhr am Morgen in Granada unweit der bekannten Alhambra. Mehr als 250 verrückte Offroadbiker stehen am Start des Mozarabe Bikerace, das zum fünftenmal stattfindet. Rückblick: Der Veranstalter Luis hat mir gestern beim Check-Inn noch gesagt, dass die Strecke auch mit dem Gravelbike gut fahrbar sei. Es gebe nur ganz wenige knifflige Singletrails.
Als kurz vor dem Startschuss laute Musik aus den Boxen dröhnt, kocht die Stimmung unter den Starter hoch. Doch sehe ich außer mir kein einziges Gravelbike um mich herum und das wird so auch den ganzen Tag so bleiben. Nach dem Start geht es leicht berghoch in einen noch dunklen und langen Tag. Unter der endlos wirkenden Schlange aus Lichtern liegt die hell erleuchtete Stadt Granada.

Der erste Downhill kann die heißblütigen Spanier nicht aufhalten. Sie fahren im Kamikaze-Stil bergab, man könnte meinen, das Rennen wird hier entschieden. Nach dem kleinen Ort Quentar folgt der erste lange Anstieg des Tages. Nach 7 Kilometern und fast 700 Höhenmetern ist er vorbei und es geht durch eine abgeschiedene surreale Landschaft. Der folgende Downhill lässt sich gut und flüssig fahren. Nach einer Straßenüberquerung folgt eine schöne Piste durch den Wald, die auch sehr gut befahrbar ist, aber immer leicht ansteigt. Als ich auf mein Garmin schaue, stelle ich fest, dass nach 35 Kilometern schon 1.400 Höhenmeter absolviert sind.
Den etwas größeren Ort Guadix, der für seine Höhlenwohnungen bekannt ist, wird auf dem Track weiträumig umfahren, die Landschaft ist aber immer atemberaubend schön. Der Blick geht dabei immer wieder auf die schneebedeckten Berge der Sierra Nevada. Ein wahres Kleinod an der Strecke ist die malerische Burg von La Calahorra. Sie befindet sich auf einem Hügel 60 Meter über der Stadt und ist seit 1922 ein geschütztes Baudenkmal.
Für ein kurzes Stück führt der Track durch ein ausgewaschenes Bachbett, hier schieben oder tragen alle ihre Bikes. An der Verpflegungsstelle fotografieren und bestaunen die Fans des Rennens mein Gravelbike und sagen immer wieder "loco loco" zu mir, was übersetzt nichts anderes als verrückt heißt.
Der Track führt nun stetig bergab. Der Untergrund wechselt von schnellen Pisten hin zu kurzen Abschnitten auf Asphalt bis hin zu Schotterpisten im Flussbett, was hier in Spanien üblich ist und die "Rambla" genannt wird. Die entscheidende Verpflegungsstelle kommt bei Kilometer 120, hier gibt es ein Zeitlimit. Wer nach 16 Uhr hier vorbeikommt, wird gnadenlos aus dem Rennen genommen. Ich schaue auf die Uhr und es ist kurz nach 12 Uhr, also werde ich finishen - falls nicht unvorhergesehenes passiert.
Was mir jedoch nicht bewusst ist, der harte und anspruchsvolle Teil des Mozarabe Bikerace beginnt erst ab hier. 15 verdammte Kilometer fahre ich nach der Verpflegungsstelle durch eine „Rambla“. Mal geht es über losen Kies, dann über größere Steine oder über feinen Sand.
Der Untergrund saugt mir buchstäblich die Kraft aus den Beinen. Das folgende Stück Asphalt ist dann Erholung pur. Eine Piste durch einen imposanten Canyon ist danach der beeindruckendste Teil des gesamten Tracks. Der Weg windet sich zwischen Felswänden hindurch in die Höhe. Zum Glück sind die Kehren betoniert, so rutscht mein Hinterrad nicht durch.
Die Verpflegungsstelle in Ragol ist reichlich bestückt. Ich benötige Zucker und fülle deshalb Cola in meine Flasche - jetzt geht es richtig zur Sache. Die Zahlen des Anstiegs sind absolut beeindruckend: Von Ort Ragol aus sind es 17 Kilometer und knapp 1.200 Höhenmeter berghoch. Doch das ist nicht das einzige Problem. Mit meinem 42er Kettenblatt und der 42er Kassette wird das jetzt ein hartes Stück Arbeit. Hinzu kommt, dass die Sonne erbarmungslos vom Himmel knallt und die Temperaturen bei knapp 30 Grad liegen.

Der Anstieg ist fast gleichmäßig steil, alle leiden hier heftig. Ich kann mindestens 10 Mountainbiker überholen, die im kleinsten Gang und mit hoher Frequenz nach oben kurbeln. Manche schieben auch ihr MTB oder bleiben einfach entkräftet stehen - die Szenerie erinnert teilweise an "the walking dead"! Von höchsten Punkt auf 1.400 Metern geht es fast nur noch bergab. Jedoch habe ich mich etwas zu früh gefreut. Die letzten 10 Kilometer hinunter Almeria führen über eine holprige Piste, die nochmals volle Konzentration erfordert.
Dann ist es nach knapp 220 Kilometern und 4.500 Höhenmetern geschafft, ich bin im Ziel. Der Veranstalter Luis begrüßt mich freudig und zeigt mir auf seinem Smartphone Videos, die er von Fans, die an der Verpflegungsstelle mich gesehen haben erhalten hat - sie zeigen den Verrückten mit dem Gravelbike. Luis meinte darauf trocken zu mir: „You are the man of the day“! Als ich meine hart verdiente Medaille um den Hals gehängt bekomme, fällt mir nur ein: Loco loco!
timo rokitta
Timo ist ein über enthusiastischer Schotterfahrer mit Sitz in Deutschland. Er ist in ganz Europa gefahren und mischt das Teilnehmen an Langstrecken-Schotter- und Bikepacking-Veranstaltungen mit sozialen Schotterausfahrten. Er ist auch Veranstalter von Events und man kann ihn entweder auf einem Moots, einem OPEN UP, einem Allied Able oder einem in den 1970er Jahren umgebauten Klappfahrrad für Schotterfahrten sehen!
timo rokitta
Timo ist ein über enthusiastischer Schotterfahrer mit Sitz in Deutschland. Er ist in ganz Europa gefahren und mischt das Teilnehmen an Langstrecken-Schotter- und Bikepacking-Veranstaltungen mit sozialen Schotterausfahrten. Er ist auch Veranstalter von Events und man kann ihn entweder auf einem Moots, einem OPEN UP, einem Allied Able oder einem in den 1970er Jahren umgebauten Klappfahrrad für Schotterfahrten sehen!